Vor 50 Jahren das erste Mal in Marokko. Autorin Erika Därr erzählt ...
Knapp 22 Jahre jung, betrat ich 1971 zum ersten Mal marokkanischen Boden. Unterwegs war ich mit meinem jetzigen Mann Klaus Därr und dessen Bruder Wolfgang in einem alten Mercedes Benz, einem ausgemusterten ehemaligen Krankenwagen, den wir günstig über eine öffentliche Ausschreibung erworben hatten.
Für mich war es die erste Reise außerhalb Europas, während Klaus bereits 1970 mit Freunden in einem alten Peugeot die algerische Sahara durchquert hatte.
So war ich bereits auf dem langen Anfahrtsweg durch Spanien einigermaßen gestresst, denn die Männer hatten keine Lust viel Zeit zu verschenken und so wurde im fliegenden Fahrerwechsel durchgefahren und abwechselnd während der Fahrt geschlafen.
Die Überfahrt mit der Fähre und auch der anschließende Tag am Strand bei Nador waren eine willkommene Verschnaufpause. Für mich war alles neu: die Menschen exotisch, befremdlich die arabische Kleiderordnung sowie die Blicke der Männer auf eine blonde junge Frau in kurzen Kleidern oder Hosen. Ich hatte mir damals wenig Gedanken über arabische Sitten gemacht und ich denke, ich bin oftmals in ein Fettnäpfchen getreten. Auf den Souks der Städte und Dörfer kam ich mir ziemlich fehl am Platz vor, aber die Distanz zu meiner Umgebung und die Angst vor dem Unbekannten wich bald einer echten Zuneigung durch die herzliche Gastfreundschaft, die wir im ganzen Land erleben durften.
In der zweiten Nacht suchten wir uns ein Schlafplätzchen bei Guercif und fanden weder eine geeignete ebene Fläche, noch einen Parkplatz, auf dem wir ungestört campen konnten. Zum Glück entdeckten wir ein verlassenes Haus mit freier Zufahrt, neben dem es eine betonierte Terrasse gab, legten dort unsere Matratzen aus und schliefen schnell ein. Morgens weckte uns ein Mann mittleren Alters in weiten Hosen und einem abgeschabten Sakko. Er redete auf uns ein und hielt uns ein Tablett mit duftendem Minztee und Fladenbrot entgegen. Wir befanden uns auf dem Vorplatz einer Schule und der freundliche Herr war der Lehrer. Am Sonntag gab es keinen Unterricht und so lud er uns gleich zu sich und seiner Familie nach Hause ein. So erlebten wir zum ersten Mal die Herzlichkeit der einfachen Landbevölkerung.
Noch Dutzende Male wurden wir eingeladen. So blieb uns auch die Gastfreundschaft eines einfachen Amethystverkäufer im Mittleren Atlas in Erinnerung. Er bot uns ein fetttriefendes Couscous ohne Fleisch mit ein wenig Gemüse an. Es war das Einzige, das er sich leisten konnte und dazu trieb er noch eine Flasche Coca-Cola auf. Das beschämte uns, weil wir uns nicht revanchieren konnten. Aber wir kauften ihm einige Halbedelsteine ab.
Unvergessen blieb uns der Aufenthalt in den Bergen bei Taza, wo wir herzlichst in den Kreis junger Studenten und Schüler aufgenommen wurden, die dort ein Workcamp absolvierten. Ihre Aufgabe bestand darin, Gebäude in Stand zu setzen, die dann als einfache Quartiere für Jugendliche dienen sollten – wie eine Art Jugendherberge. Wir waren sofort integriert, bekamen die schöne Höhlenlandschaft der Umgehung zu sehen, erfuhren einiges über die strengen Sitten und halfen natürlich kräftig mit. Zwei junge Mädchen zeigten sich erstaunlich frei und offen. Eine kleidete sich sogar in Shorts und ärmellosen T-Shirts, dass sogar heute noch so gut wie tabu ist. Das andere Mädchen erzählte uns, dass es ihr letzter Aufenthalt in Freiheit sei, da sie in sechs Wochen heiraten müsse – eine von den Eltern arrangierte Ehe. Sie hatte ihren künftigen Ehemann nur ein einziges Mal gesehen.
Mitten im Hohen Atlas wurden wir an einem Bergsee von Nomaden in ihre „schwarze Khaima“ eingeladen, um dort nach einem typischen Nomadenmahl mit Zicklein-Kebab, auch gleich die Nacht zu verbringen. Für die Männer war es selbstverständlich, die Einladung anzunehmen und ich wurde überstimmt. Ich hatte ziemlich Angst davor zwischen einer Nomaden-Großfamilie, Ziegen, Schafen, Hühnern und Hunden auf Teppichen zu schlafen, die unter und über uns ausgebreitet wurden. Allein der Staub beim Ausbreiten der Teppiche löste bei mir schon einen Hustenreiz aus. Die Verständigung mit den Nomaden erfolgte nur in Zeichensprache und in französisch-berberischem Kauderwelsch. Bereits um fünf Uhr morgens weckte uns das Bellen und die rege Geschäftigkeit der Nomaden. Schon recht früh bereiteten sich alle darauf vor, Schaf- und Ziegenherden zum Weiden zu treiben. Am Zeltpfosten neben uns war ein Zicklein angebunden und hatte sich schließlich auch etwas verheddert, Kurzerhand ließ es sich auf dem Teppich nieder unter dem Wolfgang schlief. Das wäre nicht weiter tragisch gewesen, aber es war natürlich nicht stubenrein und so pinkelte es direkt auf den Schläfer. Um ein unvergessliches Erlebnis reicher, verabschiedeten wir uns nach einem Frühstück mit frischem Fladenbrot und Minztee von den freundlichen Gastgebern.
In den drei Wochen sind wir, damals noch auf vielen ungeteerten Pisten, quer durchs ganze Land gereist. Es war abwechslungsreich, faszinierend und aufgrund der ärmlichen Verhältnisse im Atlas, auch verstörend. Uns begegneten hoch bepackte Esel und schwer beladene Frauen. Junge Mädchen mit riesigen Holzbündeln oder Wasserkrügen auf dem Rücken. Alles musste nach Hause in die einfachen Lehmhütten geschleppt werden, denn ein Wasseranschluss oder Brunnen in den Dörfern gab es oft gar nicht, von Strom ganz zu schweigen,
Merzouga, das Dorf am Rand der Sanddünen des Erg Chebbi, in dem nun Hunderte von Hotels stehen und auch das Internet nicht mehr wegzudenken ist, hatte damals einen einzigen Brunnen, an dem die Frauen mit Eseln Wasser holten. Als wir uns dem Brunnen näherten, um auch Wasser zu holen, nahmen die Frauen Reißaus, denn es ziemte sich nicht in Anwesenheit junger, fremder Männer weiterhin dem Tagwerk nachzugehen. Man könnte sich vielleicht von den Fremden den „bösen Blick“ einfangen – ein weit verbreiteter Aberglaube.
Zurück ging es entlang der Atlantikküste, wo wir noch viele einsame Strände zum Campen fanden. Was heute undenkbar ist, war zum Höhepunkt der Hippiezeit, als Bob Marley und Janice Joplin den Strand von Essaouira als ihr Domizil auserkoren hatten, selbstverständlich für die europäischen Jugendlichen: Wir schliefen so oft es ging direkt am Meer. In Agadir nächtigten wir einmal unterhalb der damals noch kleinen Strandzone im Sand vor Gebüsch und Eukalyptusbäumen, als uns mitten in der Nacht ein junger Mann weckte. Schlaftrunken verstanden wir erst gar nicht, was er wollte. Er hatte ein paar Schuhe in der Hand, die offensichtlich von Wolfgang stammten. Erst langsam begriffen wir, dass er uns die Schuhe zurückgeben wollte, die uns vorher unbemerkt ein Dieb entwendet hatte. Der junge Mann hatte den Langfinger beobachtet und ihn zur Rede gestellt. Als sich dieser rechtfertigte, das seien doch nur Hippies, die man beklauen könne, kam als Gegenargument, sozusagen als Verteidigung unserer Seriosität: „Das sind keine Hippies! Schau mal, die haben doch ein Auto hier stehen. Allah wäre das nicht recht, wenn du fremdes Eigentum stiehlst, also gib die Schuhe zurück.“ Der Dieb verzog sich und der beherzte Finder übergab uns unser Eigentum mit der Mahnung zurück, in Zukunft etwas besser aufzupassen. Die Argumentation war uns zwar nicht so ganz einleuchtend, aber froh waren wir trotzdem, denn sonst hätte Wolfgang barfuß laufen müssen.
Ich kann sagen, die Reise, vor allem die Freundlichkeit der Menschen, war prägend für mich und hat den Grundstock für meine Liebe zu Marokko gelegt – auch wenn es weitere sechs Jahre dauern sollte – bis ich erneut, dieses Mal schwanger mit Astrid – zusammen mit Klaus Marokko bereiste und danach auf die Idee kam, einen Reiseführer zu Marokko zu verfassen.
Erika Därr
Die Reiseführer von Erika Därr (gemeinsam mit Ihrer Tochter Astrid verfasst) findet man unter diesen Links:
Reiseführer Südmarokko mit Marrakesch, Agadir und Essaouira
Von Astrid Därr ist außerdem der CityTrip Marrakesh beim Reise Know-How Verlag erschienen.